Seit 2002 beschäftige ich mich auf dem Hof des Seminarhauses Idensen mit der Beziehung von Tieren zu Kindern. Anfangs wurden Kutschtouren für Schulklassen behinderter Kinder angeboten. Inzwischen haben wir das Repertoire erweitert und halten Esel, Schafe, Gänse, Hühner, Kaninchen, Katzen und einen Hund. Wir legen großen Wert darauf, dass die Tiere allesamt menschenbezogen und zahm erzogen sind. Die Kinder und Senioren (manchmal auch Seminargäste) können so mit verschiedenen Tieren in Kontakt treten, was sie in der Regel mit großer Begeisterung tun.

Dabei zeigt sich, dass jeder Mensch individuelle Vorlieben zu den unterschiedlichen Tieren hat. Insbesondere das Reiten auf den ruhigen Kaltblutpferden macht stolz und glücklich. Partner eines solch großen und kräftigen Tieres zu sein stärkt besonders das Selbstbewusstsein der Kinder. Das Gefühl, sicher getragen zu werden ist ein kindliches Grundbedürfnis, und genau dies wird mit dem geführten Reiten befriedigt. Außerdem stärkt es den Gleichgewichtssinn und die Rückenmuskulatur.
Im Umgang mit den Tieren werden natürlich auch Grenzen aufgezeigt, die akzeptiert werden müssen Ein Beispiel: Eine unachtsame, hektische Bewegung lässt Schafe (besonders die Skudden) sofort weg springen. Wenn man ihnen näher kommen will, muss dies sehr behutsam, ruhig und geduldig geschehen.

Die Tier-Kind-Verbindung ist nicht vergleichbar mit ihrer Beziehung zu Gleichaltrigen oder Erwachsenen. Das Kind schaut dem Hund, Pferd oder der Katze in die Augen und baut eine Beziehung auf, die an keinerlei Bedingung geknüpft ist. Es ist ein Verstehen ohne Worte, ohne verbalen Transfer von Informationen. Dem Tier braucht man nichts vorzumachen, es wertet ohnehin nicht.

Mein Hund merkt genau, wenn mir etwas völlig daneben gegangen ist und ich niedergeschlagen bin. Instinktiv steht er mir dann in besonderer Art und Weise zur Seite . Aber er wertet mich nicht als „Versager“. (das gilt übrigens auch für Pferde).

Die Kinder und Jugendlichen verlieren erfahrungsgemäß früher oder später ihre Ängste vor den Tieren – auch wenn diese Furcht langfristig gespeichert war. Das Auflösen dieser Angst tut ihnen wohl, wird mit Stolz über das Erreichte wahrgenommen und drückt sich in Ausgeglichenheit und ausgelassener Fröhlichkeit aus. Die Kinder und Jugendlichen sind bereit, diesem neuen Partner Vertrauen entgegen zu bringen, fühlen sich immer sicherer und wachsen an der Beziehung.

Dann spüren sie, dass sie dem Tier sogar überlegen sind – die Tiere sind auf die Versorgung durch den Menschen angewiesen – und das führt zu der Notwendigkeit, Fürsorge und Verantwortung zu übernehmen.

Die Kinder spielen also nicht nur mit den Tieren, sondern nehmen gern auch die erforderlichen Pflichten wahr: sie säubern die Ställe, füttern, striegeln die Pferde, helfen beim Schafe scheren. Es ist eine gute Erfahrung für sie, gebraucht zu werden, wichtig zu sein, etwas Wertvolles zu leisten.

Es kommt nur sehr selten zu Übergriffen zwischen Tier und Mensch.

Verletzungen, die durch Tiere verursacht wurden, haben wir in den vielen Jahren noch nicht erlebt.

Tiere verzeihen ein menschliches Fehlverhalten relativ schnell, sie sind nicht nachtragend. Nur eine nachhaltig falsche Behandlung führt zum Bruch mit dem Menschen.

Die positiven Effekte, die sich bei den Kindern im Umgang mit Tieren einstellen, kann ich nicht wissenschaftlich darlegen, dazu fehlen mir die Kompetenzen. Hier ist wohl auch noch viel Forschung notwendig. Übereinstimmend mit den betreuenden Lehrern und Helfern habe ich zusammenfassend feststellen können:

  • die Kinder bauen Ängste ab
  • sie entspannen sich
  • Hyperaktivität wird abgebaut
  • Hemmungen werden abgebaut, auch untereinander
  • Vertrauen entsteht
  • sie genießen die Natur bewusst und unbewusst
  • das Selbstbewusstsein wächst
  • der Kontakt zu den beteiligten Menschen – auch den Erwachsenen – wird intensiver
  • das soziale Verhalten (auch untereinander) entspannt sich
  • die sinnliche Wahrnehmung steigert sich
  • der Gleichgewichtssinn wird gestärkt

Erfreulich ist, dass die Aktivitäten mit der Paul Moor Schule (Förderschule Schwerpunkt Geistige Entwicklung) ausgebaut werden und dort auch tierpädagogisch gearbeitet wird.

Auch die „Wunstorfer Förderschule mit dem Schwerpunkt Lernen“ (Fröbel Schule) beschäftigt sich hier auf dem Hof im Fach Biologie praxisorientiert mit den Themen: Annäherung, Pflege und Umgang mit Tieren.

Im Fach „Normen und Werte“ werden in entspannter Atmosphäre Schwellenängste abgebaut und Umgangsformen, besonders in schulfremden Situationen, stressfrei eingeübt. Dieses ist bei Schülern aus bildungsfernem Milieu von besonderer Bedeutung. Dadurch wird ihnen der Weg zur Teilnahme am öffentlichen Leben eröffnet.

Dazu kommt es zu wöchentlich regelmäßigen Treffen der Kinder des „Lebenshilfe Kindergarten, Wunstorf“ hier in der Stiftung. Zusätzlich werden für weitere Institutionen (Kindergärten, Horte, usw.) Dienste angeboten. teilweise auch mit Übernachtung im Seminarhaus.

„Der junge Mensch braucht seinesgleichen – Tiere, überhaupt Elementares, Wasser, Dreck, Gebüsche, Spielraum. Man kann ihn auch ohne das alles aufwachsen lassen, mit Teppichen, Stofftieren, auf asphaltierten Straßen und Höfen. Er überlebt es, doch man sollte sich dann nicht wundern, wenn er später bestimmte soziale Leistungen nie mehr erlernt.“ (Alexander Mitscherlich)

Das erleben wir hier hautnah!

Heute ist hinzuzufügen, dass Kinder mehr und mehr in der virtuellen Welt der Computerspiele und aller möglichen anderer Medien aufwachsen, die zur Passivität und zu mangelnder Konzentration führen.

In der Stiftung können sie konkret Tiere, Wasser, Dreck und Natur genießen, aktiv erfahren und sich selbst näher kommen. Ich könnte mir auch vorstellen, dass die Bereitschaft zur Gewalt durch regelmäßigen Tierkontakt minimiert wird.

Übrigens wirken die Tiere auch positiv auf meine Seminarhaus-Gäste. Das sind oft Gruppen, deren Teilnehmer sich untereinander noch nicht kennen. Mein Hund Bodo z.B. ist dann der ideale Kommunikator und Mediator und mindert Berührungsängste in kürzester Zeit.

Erwachsene, besonders ältere Menschen bauen durch den Tierkontakt nach unserer Erfahrung langjährig manifestierte seelische Verhärtungen oft schnell ab, was ein spontanes Lachen oder ein erinnerndes Lächeln beweist.

In Pflegeheimen haben wir sogar bei stark dementen Menschen mit Hilfe von Tieren (meist Zwerghühnern) spontane Sprech- und Erinnerungsverbesserungen erkennen können.

Zusammengefasst

Die positive Wirkung auf Menschen durch Tierkontakt ist hier täglich zu erfahren. Bei Kindern mit körperlicher und/oder geistiger Behinderung ist sie in vielen Fällen extrem groß. Für die Lehrer, Helfer und für mich ist das Projekt eine wertvolle, erfüllende Erfahrung. Und ich glaube, auch für die Tiere ist es gut. Sie sind von Haus aus neugierig und wollen Aufgaben haben. Das gilt besonders für die Hunde, aber auch die Pferde, Esel, Schafe und Gänse wollen mehr als eine reine Rasenmäher-Funktion.